Wie sich die entsetzlichen Bilder gleichen
Ähnliche Erinnerungen gibt es wohl in jeder deutschen Familie. Mein Vater wäre heute 93 Jahre alt geworden. Als im Januar 1945 die Schlacht um seine Heimatstadt Breslau tobte, wurde er ebenso wie seiner Mitschüler als letztes Aufgebot für die "Festung Breslau" in das Volkssturmbataillon-55 eingezogen. Nur vier der 24 "Hitlerjungen" seiner Berufsschulklasse haben überlebt.
Sein Vater, Jahrgang 1892, der bereits im 1. Weltkrieg als Soldat auf dem Balkan gekämpft hatte, wurde ebenfalls für die Festungstruppen mobilisiert. Meine Oma, die damals bereits drei Söhne in diesem Wahnsinnskrieg verloren hatte, musste schon am 23. Januar die Stadt mit Handgepäck, einer Tasche und einem Rucksack, per Eisenbahn in Richtung Sachsen verlassen. Der Krieg war längst dahin zurückgekehrt, wo er begonnen wurde. Die faschistische Hauptstadt Berlin war zum zum Hauptziel geworden. Seit dem 15. Februar 1945 lief die Niederschlesische Operation. Mit dem Einschluss der einstigen Millionenstadt Breslau, heute Wroclaw, standen sich etwa 40.000 deutsche und 200.000 sowjetische Soldaten gegenüber.
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https://de.wikipedia.org/wiki/ Schlacht_um_Breslau |
Vor allem während der Ostertage am 1. und 2. April wurden tausende von Bomben auf das Stadtgebiet geworfen. Ich erinnere mich an die Erzählungen meines Vaters, der quasi als Kindersoldat mit der Panzerfaust auf der Schulter seinem 16. Geburtstag beging. Gekämpft wurde auch um einzelne Straßen und Häuser. Nach der Kapitulation gegenüber der sowjetischen 6. Armee und der 3. Gardepanzerarmee waren von den 30.000 Gebäuden fast 22.000 zerstört. Nach Schätzungen kamen in Breslau 170.000 Zivilisten, 6.200 deutsche und 13.000 sowjetische Soldaten ums Leben. Totale Zerstörungen, Hinrichtungen Kriegsunwilliger, Vergewaltigungen, Plünderungen, chaotische Fluchten - das waren die "üblichen" Begleiterscheinungen des Krieges. (Quelle: Wikipedia)
Mein Vater kam schwer verwundet in ein Lazarett und schlug sich dann nach Sachsen durch. Mein Großvater wurde als Kriegsgefangener wegen seiner Erfahrungen als Sanitätsgefreiter ins Konzentrationslager Buchenwald geschickt zur Pflege von Häftlingen. Dazu gibt es noch eine Urkunde. Er hat allerdings nie darüber gesprochen...
Warum erzähle ich das alles?
In den letzten zwei Wochen habe ich wegen eines Lehrauftrages mehrere Nächte in einem Hotel in Dessau übernachtet. Von den etwa 150 Zimmern waren die meisten von ukrainischen Flüchtlingen bewohnt. Überwiegend Frauen mit Kindern und Ältere. Bedrückende Stille auf den Fluren und in den Aufenthaltssälen. Körpersprache der Trauer und des Demütigung. Und ich habe es nicht gewagt, außer mit einem kurzen Hallo, jemanden anzusprechen - mit meinem Schulrussisch (!) vielleicht sogar. Heimatlose - und ihre Männer, Söhne, Brüder und Schwestern sind noch in der umkämpften Ukraine. Leben sie noch? Die Merkmale des Krieges wiederholen sich. Ich denke an meine Oma und wie sie damals in Oschatz verzweifelt gewesen sein muss, mittel- und hoffnungslos. Der historische Vergleich ist sicher problematisch und fragwürdig. Aber eins ist klar: Es sind immer die Völker, die leiden müssen, egal auf welcher Seite.
Schluss mit dem Krieg! Es wird keine Sieger geben! Schluss mit dem Wahnsinn, der nur noch schlimmer werden kann! Und was ich einstmals an der Militärakademie gelernt habe, macht mich heute eher zum Pazifisten. Kriege sind nicht mehr gewinnbar!
G. Dietmar Rode